Kommission für die Religiosen Beziehungen zu dem Judentum
Città del Vaticano 01/12/1974
Die Erklärung des II. Vatikanischen Konzils »Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen« (Nostra Aetate, Nr. 4) vom 26. Oktober 1965 bedeutet einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Juden und den Katholiken.Der historische Kontext, der die Initiative des Konzils dabei weitgehend bestimmt hat, war die Erinnerung an die Verfolgungen und die Massenhinrichtungen von Juden, die in Europa in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg und während des Krieges geschehen sind.
Obgleich das Christentum innerhalb der jüdischen Religion entstanden ist und bestimmte Wesenselemente seines Glaubens und seines Kultes von ihr empfangen hat, ist die Kluft zwischen beiden immer tiefer und weiter geworden, bis hin zum völligen Verkennen des anderen auf beiden Seiten.
Nach zwei Jahrtausenden, die allzu oft durch gegenseitige Unkenntnis und offene Feindschaft geprägt waren, eröffnete die Erklärung Nostra Aetate den Weg zum Zustandekommen oder zur Fortsetzung des Dialogs mit dem Ziel eines besseren gegenseitigen Verstehens. Seitdem sind in den vergangenen neun Jahren in verschiedenen Ländern zahlreiche Initiativen unternommen worden. Sie haben zu einer besseren Erkenntnis der Bedingungen geführt, unter denen neue Beziehungen zwischen Juden und Christen zustandekommen und sich weiter entwickeln können. Nun scheint der Augenblick gekommen, aufgrund der Richtlinien des Konzils einige konkrete Hinweise zu geben, gestützt auf Erfahrungen und in der Hoffnung, daß sie zur Verwirklichung der in dem Konzilsdokument dargelegten Zielsetzungen eine Hilfe sein könnten.
Im Hinblick auf dieses Dokument mag hier die einfache Erklärung genügen, daß die geistlichen Bande und die historischen Beziehungen, die die Kirche mit den Judentum verknüpfen, jede Form des Antisemitismus und der Diskriminierung als dem Geist des Christentums widerstreitend verurteilen, wie sie ja auch bereits aufgrund der Würde der menschlichen Person an und für sich verurteilt sind. Darüber hinaus entsteht aus diesen Banden und Beziehungen die Verpflichtung zu einem besseren gegenseitigen Verstehen und einer neuen gegenseitigen Hochschätzung. Konkret bedeutet dies im besonderen, daß die Christen danach streben, die grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Judentums besser zu verstehen und daß sie lernen, welche Grundzüge für die gelebte religiöse Wirklichkeit der Juden nach ihrem eigenen Verständnis wesentlich sind.
Im Anschluß an diese grundsätzlichen Erwägungen sollen hier nun einige erste Vorschläge zur praktischen Durchführung auf verschiedenen Ebenen des Lebens der Kirche unterbreitet werden, mit dem Ziel einer gesunden Entwicklung der Beziehungen zwischen den Katholiken und ihren jüdischen Brüdern.
I.
DER DIALOG
In der Tat sind die Beziehungen zwischen Juden und Christen, wo sie überhaupt vorhanden sind, im großen und ganzen noch kaum über das Stadium des Monologes hinausgekommen: umso wichtiger ist, daß nun ein wirklicher Dialog entsteht.
Der Dialog setzt den Wunsch voraus, sich gegenseitig kennenzulernen und diese Kenntnis zu entwickeln und zu vertiefen. Er ist ein hervorragendes Mittel zur Erlangung eines besseren gegenseitigen Verstehens und eines tieferen Bewußtseins von dem Reichtum der eigenen Tradition. Das gilt besonders vom jüdisch-christlichen Dialog. Eine weitere Bedingung des Dialogs ist der Respekt gegenüber der Eigenart des anderen, besonders gegenüber seinem Glauben und seinen religiösen Überzeugungen.
Gemäß ihrer von Gott gegebenen Sendung soll die Kirche ihrem Wesen nach der Welt Jesus Christus verkünden (Ad Gentes, Nr. 2). Den Juden gegenüber soll dieses Zeugnis für Jesus Christus nicht den Anschein einer Aggression erwecken; so ist den Katholiken aufgegeben, dafür Sorge zu tragen, daß sie ihren Glauben leben und verkünden im konsequent durchgehaltenen Respekt gegenüber der religiösen Freiheit des anderen, wie sie das II. Vatikanische Konzil lehrt (in der Erklärung Dignitatis Humanae). In gleicher Weise werden sie bestrebt sein, die Schwierigkeiten zu verstehen, die die jüdische Seele, gerade weil sie von einem sehr hohen und reinen Begriff der göttlichen Transzendenz geprägt ist, gegenüber dem Geheimnis des fIeischgewordenen Wortes empfindet.
Wenn es wahr ist, daß auf diesem Gebiet noch immer eine Atmosphäre eines weit ausgebreiteten Mißtrauens vorherrscht, das sich aus einer beklagenswerten Vergangenheit herleitet, sollen die Christen ihrerseits ihren Anteil von Verantwortlichkeit dafür anerkennen und daraus praktische Folgerungen für die Zukunft ziehen.
Außer dem brüderlichen Gespräch sollen auch Zusammenkünfte von Fachleuten gefördert und ermutigt werden zum Studium der vielfältigen Probleme, die mit den grundlegenden Überzeugungen des Judentums und des Christentums zusammenhängen. Eine Öffnung und Weitung des Geistes, eine Haltung des Mißtrauens gegenüber den eigenen Vorurteilen, Takt und Behutsamkeit sind dabei unentbehrlich, wenn man seinen Partner nicht, und sei es auch ungewollt, verletzen will.
Unter Umständen, die es möglich und auf beiden Seiten erwünscht erscheinen lassen, empfiehlt sich auch eine gemeinsame Begegnung vor Gott im Gebet und in der schweigenden Betrachtung, die sich dahin auswirken wird, daß die Demut und die Öffnung des Geistes und des Herzens entsteht, wie sie für eine tiefe Erkenntnis des eigenen Ich und des andern notwendig sind. Anlässe für eine solche Gebetsgemeinschaft sind besonders große Anliegen wie Gerechtigkeit und Frieden.
II.
DIE LITURGIE
Bekanntlich gibt es zwischen der christlichen und der jüdischen Liturgie Verbindungen. Die jüdische Liturgie ist ebenso wie die christliche Liturgie bestimmt durch die Gemeinschaft des Lebens im Dienste Gottes und der Menschheit aus Liebe zu Gott, wie er sich in der Liturgie verwirklicht. Von besonderer Bedeutung für die jüdisch-christlichen Beziehungen ist die Erkenntnis der gemeinsamen Elemente des liturgischen Lebens (Gebetstexte, Feste, Riten usw.).
Man soll bemüht sein, besser zu verstehen, was im Alten Testament von eigenem und bleibendem Wert ist (vgl. Dei Verbum, Nr. 14-15), da dies durch die spätere Interpretation im Licht des Neuen Testaments, die ihm seinen vollen Sinn gibt, nicht entwertet wird, so daß sich vielmehr eine wechselseitige Beleuchtung und Ausdeutung ergibt (ebda., Nr. 16). Dies ist um so wichtiger, als die Christen durch die Liturgie-reform immer häufiger mit den Texten des Alten Testaments in Berührung kommen.
Die Kommentare zu den biblischen Texten sollen ohne Zurückdrängung des ursprünglichen Charakters des Christentums die Kontinuität unseres Glaubens, mit dem des Alten Bundes im Sinne der Verheißungen ins rechte Licht stellen. Wir glauben, daß diese seit der ersten Ankunft Christi erfüllt sind - indessen ist es ebenso wahr, daB wir noch in der Erwartung ihrer vollkommenen Erfüllung bei seiner glorreichen Wiederkehr am Ende der Zeiten stehen.
Was die liturgischen Texte angeht, soll man darum besorgt sein, in der Homilie eine gerechte Auslegung zu geben, besonders da, wo es sich um Abschnitte handelt, die scheinbar das jüdische Volk als solches ins schlechte Licht setzen. Unser Bemühen soll dahin gehen, das christliche Volk so zu unterrichten, daß es zu einem rechten Verständnis dieser Texte in ihrem wahren Sinn und in ihrer Bedeutung für den Gläubigen von heute gelangt.
Die mit der Übersetzung biblischer Texte beauftragten Kommissionen sollen ihre besondere Aufmerksamkeit darauf richten, auf welche Weise einzelne Ausdrücke und ganze Abschnitte, die von ungenügend unterrichteten Christen tendenziös mißverstanden werden konnten, wiederzugeben sind. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, den biblischen Text zu verändern, es ist aber Aufgabe einer Übersetzung, die zum liturgischen Gebrauch bestimmt ist, den eigentlichen Sinn eines Textes herauszuarbeiten[1] und zwar unter Berücksichtigung der exegetischen Forschung.
III.
LEHRE UND ERZIEHUNG
In den vergangenen Jahren ist, wenn auch noch eine große Arbeit zu leisten bleibt, schon ein besseres Verständnis des Judentums an und für sich und in seiner Beziehung zum Christentum erreicht worden, dank der Belehrung durch die Kirche, des Studiums und der Forschungsarbeit der Wissenschaftler, und ebenso als Frucht des Dialogs, wo ein solcher zustandegekommen ist. Hierzu sind folgende Tatsachen erwähnenswert:
- Im Alten und im Neuen Bund spricht derselbe Gott, »der die Bücher beider Testamente inspiriert hat und ihr Urheber ist« (Dei Verbum) Nr. 16).
- Das Judentum war in der Zeit Christi und der Apostel eine sehr komplexe Wirklichkeit, es umfaßte eine ganze Welt von Tendenzen, von spirituellen, religiösen, sozialen und kulturellen Werten.
- Man darf das Alte Testament und die sich darauf gründende jüdische Tradition nicht in einen solchen Gegensatz zum Neuen Testament stellen, daß sie nur eine Religion der Gerechtigkeit, der Furcht und der Gesetzlichkeit zu enthalten scheint, ohne den Anruf zur Liebe zu Gott und zum Nächsten (vgl. Deut 6, 5; Lev 19, 18; Mt 22,34-40).
- Jesus stammt wie seine Apostel und ein Großteil seiner ersten Jünger aus dem jüdischen Volk. Indem er sich als Messias und Sohn Gottes offenbarte (vgl. Mt 16, 16), als Überbringer. einer neuen Botschaft, des Evangeliums, hat Jesus sich immer dazu bekannt, die frühere Offenbarung zu erfüllen und zu vollenden. Und obgleich die Lehre Jesu etwas zutiefst Neues darstellt, beruft er sich doch wiederholt auf die Lehre des Alten Testaments. Das Neue Testament ist sehr tief durch seine Beziehung zum Alten Testament geprägt. So erklärt das II. Vatikanische Konzil: «Gott, der die Bücher beider Bünde inspiriert hat und ihr Urheber ist, wollte in Weisheit, daß der Neue im Alten verborgen und der Alte im Neuen Bund erschlossen sei« (Dei Verbum) Nr. 16). Auch macht Jesus Gebrauch von Lehrmethoden, die denen der Rabbis seiner Zeit ähnlich sind.
- Über den Prozeß Jesu und seinen Tod sagt das Konzil: »Was sich bei seinem Leiden ereignet hat, kann man weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen« (Nostra Aetate, Nr. 4).
- Die Geschichte des Judentums geht nicht mit der Zerstörung Jerusalems zu Ende. Und in ihrem weiteren Verlauf hat sich eine religiöse Tradition entwickelt, deren Ausgestaltung jedenfalls reich an religiösen Werten ist, wenn sie auch, wie wir glauben, nach Christus eine zutiefst verschiedene Bedeutung hat.
- Mit den Propheten und dem Apostel Paulus »erwartet die Kirche den Tag, der nur Gott bekannt ist, an dem alle Volker mit einer Stimme den Herrn anrufen und ihm "Schulter an Schulter dienen" (Soph 3, 9)« (Nostra Aetate, Nr. 4).
Die notwendige Information über diese Fragen betrifft alle Ebenen der christlichen Lehre und Bildung. Unter den Mitteln dieser Information sind die folgenden von besonderer Bedeutung:
- Handbücher der Katechese,
- Geschichtswerke,
- Medien der Massenkommunikation (Presse, Radio, Film, Fern- sehen).
Die wirksame Verwendung dieser Mittel setzt eine vertiefte Ausbildung der Lehrer und Erzieher in den Schulen, Seminarien und Universitäten voraus.
Die wissenschaftliche Erforschung der Probleme des Judentums und der jüdisch-christlichen Beziehungen soll gefordert werden, besonders in den Bereichen der Exegese, der Theologie, der Geschichte und der Soziologie. Die katholischen Universitäten und Forschungseinrichtungen, möglichst in Verbindung mit anderen ähnlichen christlichen Instituten, wie auch die einzelnen Fachleute sind eingeladen, ihren Beitrag zur Losung dieser Probleme zu leisten. Wo es möglich ist, sollen Lehrstühle für das Studium des Judentums geschaffen werden, die Zusammenarbeit mit jüdischen Gelehrten soll ermutigt werden.
IV.
SOZIALE UND GEMEINSCHAFTLICHE AKTION
Die bewußte Überzeugung vom Wert der menschlichen Person, des Ebenbilds Gottes, ist Bestandteil der jüdischen und der christlichen Tradition, die sich auf das Watt Gottes gründet. So muß sich die Liebe zu demselben Gott umsetzen in ein wirksames Handeln zugunsten der Menschen. Juden und Christen sollen im Geist der Propheten bereitwillig zusammenarbeiten zur Forderung von Gerechtigkeit und Frieden im örtlichen, nationalen und internationalen Bereich.
Dieses gemeinsame Tun kann in gleicher Weise dazu dienlich sein, die gegenseitige Kenntnis und Wertschätzung zu steigern.
SCHLUSSBEMERKUNG
Das II. Vatikanische Konzil hat den Weg gezeigt, wie eine vertiefte Brüderlichkeit zwischen Juden und Christen zu erreichen ist. Bis dahin liegt jedoch noch eine weite Wegstrecke vor uns.
Das Problem der Beziehungen zwischen Juden und Christen ist ein Anliegen der Kirche als solcher, denn sie begegnet dem Mysterium Israels bei ihrer »Besinnung auf ihr eigenes Geheimnis«. Es ist also von bleibender Bedeutung auch in den Gegenden, in welchen es keine jüdischen Gemeinden gibt. Ebenso hat dieses Problem auch einen ökumenischen Aspekt: Die Rückkehr der Christen zu den Quellen und den Ursprüngen ihres Glaubens, der im Alten Bund gründet, ist ein Bestand- teil der Suche nach der Einheit in Christus, dem Eckstein.
In diesem Bereich sollen die Bischöfe im Rahmen der allgemeinen Disziplin der Kirche und ihrer Lehre, wie sie durch das Lehramt allumfassend verkündet wird, die geeigneten pastoralen Initiativen ergreifen. So werden sie z. B. auf nationaler oder regionaler Ebene Kommissionen oder Sekretariate dafür errichten oder eine kompetente Persönlichkeit ernennen mit dem Auftrag, die Anweisungen des Konzils und die hier vorgelegten Anregungen in der Praxis zu verwirklichen.
Für die Gesamtkirche hat Papst PauI VI. am 22. Oktober 1974 diese »Kommission für die religiösen Beziehungen zu dem Judentum« errichtet, die mit dem Sekretariat für die Einheit der Christen verbunden ist. Diese spezielle Kommission soll, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Christen, die religiösen Beziehungen zwischen Juden und Katholiken fordern und anregen. Sie steht dabei im Rahmen ihrer Kompetenz allen interessierten Gremien zur Verfügung, um sie zu in- formieren und ihnen bei der Durchführung ihrer Aufgaben in Übereinstimmung mit den Direktiven des Hl. Stuhles zu helfen.
Sie hat den Wunsch, diese Zusammenarbeit weiter zu entwickeln im Sinne einer guten und wirksamen Verwirklichung der Richtlinien des Konzils.
Gegeben zu Rom, am 1. Dezember 1974.
]OHANNES Kard. WILLEBRANDS
Präsident der Kommission
P. Pietre-Mafie de Contenson, O.P.
Sekretär
[1] So bedeutet der Ausdruck »die Juden« im Johannesevangelium im Kontext bisweilen »die Fiihrer der Juden« oder »die Feinde Jesu« - diese Ausdriicke sind elle bessere Ober- setzung des Gedankens des Evangelisten, wobei der Anschein vermieden wird, als sei hier . das jiidische Volk als solches gemeint. Ein anderes Beispiel ist der Gebrauch der Worte »Pharisiier« und »Pharisiiismus«; die heute einen durchaus peiorativen Klanll h"h,.n
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Inserito 01/01/1970
Relazioni Ebraico-Cristiane
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