Kasper, Walter
Germania 20/03/2008
21. März 2008 Jüngst hat Papst Benedikt XVI. für den von ihm rehabilitierten „außerordentlichen“ Ritus, das Römische Messbuch von 1962, die Karfreitagsfürbitte für die Juden neu formuliert. Das war notwendig, weil einige alte Formulierungen von jüdischer Seite als beleidigend und auch von vielen Katholiken als anstößig empfunden wurden. Freilich haben die neuen Formulierungen auch zu neuen Irritationen geführt und sowohl bei Juden wie bei manchen Christen grundsätzliche Fragen aufgeworfen.Die Irritationen sind auf jüdischer Seite weithin nicht rational, sondern emotional begründet. Man sollte sie jedoch nicht als Ausdruck von Überempfindlichkeit abtun. Auch bei jüdischen Freunden, die seit Jahrzehnten in intensivem Gespräch mit Christen stehen, sind kollektive Erinnerungen an Zwangskatechesen und Zwangsbekehrungen noch lebendig. Die Erinnerung an die Schoa ist für das heutige Judentum ein traumatisches, gemeinschaftsstiftendes Identitätsmerkmal. Judenmission betrachten viele Juden als existenzbedrohend; manchmal sprechen sie gar von einer Schoa mit anderen Mitteln. So bedarf es im jüdisch-christlichen Verhältnis noch immer eines hohen Maßes an Sensibilität.
Das Heil aller Menschen
Beachtung verdient indes die Tatsache, dass die Karfreitagsfürbitte des Römischen Messbuchs von 1970, also des „ordentlichen“ Ritus, nicht verändert wurde. Das zeigt, dass die Kirche mit der neuen Formulierung nicht hinter „Nostra aetate“, die die Erklärung des II. Vatikanischen Konzils über die nichtchristlichen Religionen enthält, zurückgeht. Das gilt umso mehr, als die Substanz von „Nostra aetate“ auch in der formal höherrangigen Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ enthalten ist und darum grundsätzlich nicht zur Disposition steht. Außerdem hat es seit dem Konzil eine große Zahl von Stellungnahmen, auch des gegenwärtigen Papstes, gegeben, die auf „Nostra aetate“ Bezug nehmen und die Bedeutung dieser Erklärung bestätigen.
Im Unterschied zu der Karfreitagsfürbitte von 1970 spricht die Neuformulierung der Bitte von 1962 von Jesus als dem Christus und dem Heil aller Menschen - also auch der Juden. Viele haben diese Aussage als neu und gegenüber den Juden als unfreundlich empfunden. Doch sie ist im Ganzen des Neuen Testaments begründet und weist auf den allseits bekannten, für Christen wie für Juden bleibend grundlegenden Unterschied hin. Auch wenn dieser in „Nostra aetate“ nicht direkt erwähnt wird und in der Fürbitte von 1970 nicht ausdrücklich vorkommt, so kann die „Erklärung“ ebenso wenig aus dem Zusammenhang aller Konzilsdokumente herausgelöst werden wie die Karfreitagsfürbitte des Missale von 1970 aus dem Ganzen der Karfreitagsliturgie, die ebendiese christliche Glaubensüberzeugung zum Inhalt hat. Die Neuformulierung des Karfreitagsgebets von 1962 sagt also nichts Neues, sondern spricht nur aus, was schon bisher als selbstverständlich vorausgesetzt, aber offensichtlich nicht hinreichend thematisiert wurde.
Beide Seiten müssen lernen
In der Vergangenheit wurde aus dem Juden und Christen unterscheidenden Christusglauben oft eine „Sprache der Verachtung“ (Jules Isaak) mit all den schlimmen Konsequenzen, die daraus folgten. Wenn wir uns heute um gegenseitige Achtung bemühen, dann kann sie nur darin bestehen, uns in unserer Verschiedenheit gegenseitig anzuerkennen. Deshalb erwarten wir von den Juden nicht, dass sie dem christologischen Inhalt des Karfreitagsgebets zustimmen. Aber sie sollen respektieren, dass wir als Christen unserem Glauben gemäß beten, so wie wir selbstverständlich ihre Art zu beten respektieren. In dieser Hinsicht haben beide Seiten noch zu lernen.
Die eigentlich kontroverse Frage lautet: Sollen Christen für die Bekehrung der Juden beten? Kann es eine Judenmission geben? In dem neuformulierten Gebet kommt das Wort Bekehrung nicht vor. Es ist aber in der Bitte um Erleuchtung der Juden, damit sie Jesus Christus erkennen, indirekt eingeschlossen. Zu beachten ist auch, dass das Messbuch von 1962 die einzelnen Fürbitten mit Überschriften versieht. Die Überschrift zu der Fürbitte für die Juden wurde nicht verändert; sie lautet nach wie vor: „Pro conversione Judaeorum - Für die Bekehrung der Juden“. Viele Juden haben die Neuformulierung mit der Brille dieser Überschrift gelesen, was die beschriebenen Reaktionen hervorrief.
Keine organisierte Judenmission
Demgegenüber kann man darauf hinweisen, dass die katholische Kirche im Unterschied zu manchen evangelikalen Kreisen keine organisierte und institutionalisierte Judenmission kennt. Mit diesem Hinweis ist das Problem der Judenmission faktisch, aber noch nicht theologisch geklärt. Es ist das Verdienst der neuformulierten Fürbitte, dass sie in ihrem zweiten Teil einen ersten Hinweis auf eine grundsätzliche theologische Antwort gibt.
Der Papst geht vom Kapitel 11 des Römerbriefs aus, das auch für „Nostra aetate“ grundlegend ist. Das Heil der Juden ist für Paulus ein abgründiges Geheimnis göttlicher Gnadenwahl. Gottes Gaben sind reuelos, und die Verheißungen Gottes für sein Volk sind trotz dessen Ungehorsams von Gott nicht zurückgenommen worden. Gott hat aber den Großteil seines Volkes mit Ausnahme eines heiligen Rests wegen dessen Unglaubens verstockt. Die Verstockung der Juden gereicht den Heiden zum Heil. Die wilden Zweige der Heiden sind dem heiligen Wurzelstock Israels eingepfropft worden. Gott hat jedoch die Macht, die herausgehauenen Zweige wieder einzupfropfen. Wenn die Fülle der Heiden in das Heil eingeht, wird ganz Israel gerettet werden. Israel bleibt also Träger der Verheißung und des Segens.
Mal Rätsel, mal Gotteszeugnis
Paulus spricht in der Sprache der Apokalyptik von einem Geheimnis (11,25). Damit ist mehr gemeint, als dass die Juden anderen Völkern mal ein Rätsel, mal ein Gotteszeugnis sind. Paulus versteht unter Geheimnis den ewigen Heilswillen Gottes, der durch die Verkündigung des Apostels in der Geschichte offenbar wird. Konkret bezieht er sich auf die Propheten Jesaja (59,20) und Jeremias (31,33 f.) Er nimmt damit auf die von den Propheten wie von Jesus verheißene endzeitliche Sammlung der Völker auf dem Sion und den dann heraufziehenden universalen Frieden (shalom) Bezug. Paulus sieht seine Missionsarbeit unter den Heiden in dieser Perspektive. Seine Mission soll die Sammlung der Völker vorbereiten, die dann, wenn die Vollzahl der Heiden eingetreten ist, Israel zum Heil gereicht und für die Welt den eschatologischen Frieden heraufführt.
So kann man sagen: Nicht aufgrund von Judenmission, sondern aufgrund der Heidenmission wird Gott am Ende, wenn die Vollzahl der Heiden ins Heil eingetreten ist, das Heil Israels heraufführen. Allein er, der den Großteil Israels verstockt hat, kann die Verstockung auch wieder lösen. Er tut es, wenn „der Retter“ aus Sion kommt. Das ist aufgrund des paulinischen Sprachgebrauchs kein anderer als der wiederkommende Christus. Denn Juden und Heiden haben denselben Herrn.
Zeugnis geben vom Glauben
Dieser Hoffnung gibt das neu formulierte Karfreitagsgebet in einer an Gott gerichteten Gebetsbitte Ausdruck. Im Grunde wiederholt die Kirche mit diesem Gebet die Vater-unser-Bitte „Dein Reich komme“ und den urchristlichen liturgischen Ruf „Maranatha - Komm Herr Jesus, komm bald“. Solche Bitten um das Kommen des Reiches Gottes und um die Verwirklichung des Heilsgeheimnisses sind ihrer Natur nach kein an die Kirche gerichteter Aufruf zu missionarischer Aktion. Im Gegenteil, sie respektieren die ganze Abgründigkeit des verborgenen Gottes. So nimmt die Kirche mit ihrer Bitte die Verwirklichung des unergründlichen Mysteriums nicht selbst in Regie. Das kann sie gar nicht. Sie legt das Wann und das Wie vielmehr ganz in Gottes Hände. Gott allein kann das Reich Gottes heraufführen, in dem ganz Israel gerettet und der Welt der eschatologische Frieden zuteil wird.
Der Ausschluss einer gezielten und institutionalisierten Judenmission bedeutet nicht, dass die Christen die Hände in den Schoß legen sollen. Man muss gezielte und organisierte Mission einerseits und christliches Zeugnis andererseits unterscheiden. Selbstverständlich müssen Christen ihren „älteren Brüdern und Schwestern im Glauben Abrahams“ (Johannes Paul II.) dort, wo es angebracht ist, Zeugnis geben von ihrem Glauben und von dem Reichtum und der Schönheit ihres Glaubens an Jesus Christus. Das hat auch Paulus getan. Auf seinen Missionsreisen ging er jeweils zuerst in die Synagoge und erst wenn er dort keinen Glauben fand, zu den Heiden.
Ein solches Zeugnis ist auch von uns heute gefordert. Es soll gewiss taktvoll und respektvoll geschehen; es wäre aber unredlich, wenn Christen bei der Begegnung mit jüdischen Freunden von ihrem Glauben schweigen oder ihn gar verleugnen würden. Von gläubigen Juden erwarten wir uns gegenüber dasselbe. In den Dialogen, die ich kenne, ist dieses Verhalten völlig normal. Denn ein ehrlicher Dialog zwischen Juden und Christen ist nur möglich einerseits auf der Basis der Gemeinsamkeit im Glauben an den einen Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, an die dem Abraham und den Vätern gegebenen Verheißungen, andererseits im Bewusstsein und im Respekt des grundlegenden Unterschieds, der im Glauben an Jesus als den Christus und den Erlöser aller Menschen besteht.
Der Autor ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.
Text: Frankfurter Allgemeine - F.A.Z., 20.03.2008, Nr. 68 / Seite 39
Bildmaterial: dpa
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Inserito 01/01/1970
Relazioni Ebraico-Cristiane
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